Aus Südafrikas Wildnis

Zwei Lektionen fürs Leben

4. Juli 2022
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6 Min.
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Kategorien: Alle | Logbuch | Südafrika
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Der ständig fotografierende Nachzügler der Gruppe (Dank an Temujin Johnson für das Foto).
Der ständig fotografierende Nachzügler der Gruppe (Dank an Temujin Johnson für das Foto).
6 Min. Plötzlich wurde mir klar: Ich befinde mich im Lebensraum von Löwen, Elefanten und Büffeln. Drei Tage lang. Zu Fuß. Das war eine der faszinierendsten Erfahrungen meines Lebens. Hier sind meine zwei wichtigsten Erkenntnisse.

Mein Herz klopft wie verrückt. Die Löwin erscheint in unserem Blickfeld. Sie schaut sich um und dann starrt sie uns direkt an. Diese stechenden Augen werde ich nie vergessen. Dann passiert noch etwas, was ich nie vergessen werde: Die Löwin brüllt! Sie ist 25 Meter entfernt und könnte in drei oder vier Sekunden hier sein. Doch sie wendet den Kopf ab, geht gemächlich weiter und verschwindet im Busch. Meine Güte, auf was hab‘ ich mich nur eingelassen?

Zwei Tage zuvor setzte sich im Makuleke Camp im südafrikanischen Krüger-Nationalpark eine Menschenkette aus neun Personen in Gang, angeführt von Field Guide Bruce Lawson. Ihm folgt sein Stellvertreter Nepomuk, genannt Nep. Beide arbeiten als Ausbilder bei Eco Training, einem der größten Bildungsinstitute für angehende Field Guides und Ranger in Afrika. Beide tragen schwere Schrotflinten, geladen. Bruce und Nep müssen jederzeit bereit sein, ihre Waffen ohne Zögern gegen angreifende Raubtiere einzusetzen: Büffel, Elefanten oder Löwen.

Der dritte in der Reihe ist das Greenhorn der Gruppe: ich. Mir folgen sechs angehende Ranger. SIe werden bald ihre 55-tägige Ausbildung ‚FGASA Field Guide Level One‘ abschließen. Wer Lodge-Gäste durch Wildnis führen will, muss auch das letzte Modul absolvieren: Den ‚Wilderness Skills Course‘. Das ist der Kurs, in dem wir uns gerade befinden. Er konzentriert sich auf Begegnungen mit wilden Tieren. Unsere sechs zukünftigen Field Guides müssen dann Coolness zeigen und Prüfer Bruce Lawson durch ihr besonnenes und korrektes Verhalten überzeugen.

 

Es ist ein wunderbarer Morgen im Selati-Wildreservat: Wir machen eine weitere Tageswanderung durch die Wildnis, dieses Mal mit Lead Guide Ross.

Ich bin der einzige Externe. Ich will fotografieren und über dieses Erlebnis schreiben. Ein paar Monate später veröffentlicht Deutschlands größtes Naturreisemagazin TERRA meine Ergebnisse als 12-seitige Story und auch im Magazin Business Punk komme ich zu Wort.

Zwei Dinge habe ich für’s Leben gelernt

Drei Tage im Busch – und noch einige mehr in verschiedenen Camps – mit unglaublichen Tierbegegnungen, naturverbundenen Charismatikern und wunderbaren Geräuschen in der Nacht – all das zusammen zählt zu einer der faszinierendsten Erfahrungen, die ich je gemacht habe. Hier sind meine zwei wichtigsten Erkenntnisse.

1. Ich krieg‘ das raus

In der Natur kann Fehlverhalten tödlich sein. Besonders wenn man Tieren begegnet, die für uns Menschen gefährlich werden können. Wenn man giftige Früchte isst oder in unbekannte Gewässer steigt.

Die Grundlage für Fehlverhalten ist oftmals Nicht-Wissen. Ich wusste einfach nicht, wie ich mich verhalten sollte, als mich die Löwin anbrüllte. Ich wär‘ weggelaufen. Ganz schlecht! Denn so hätte ich mich gegenüber der Löwin als Fluchttier entpuppt. Sie hätte mich höchstwahrscheinlich gejagt – und erlegt. Ich hab‘ gelernt: Wenn ein Löwe angreift, bewegst du dich nicht. Du beanspruchst deinen Platz und gibst dem Löwen seinen Platz, damit er Raum hat, sich abwenden kann. „Schrei‘ ihn an. Mach‘ dir in die Hose, aber beweg‘ dich bloß nicht. Deine Körpersprache ist der Schlüssel“, lehrte mich Rob, der einen Wildtierkanal auf YouTube betreibt. Ok, kapiert, dachte ich. Lerne oder stirb. Glücklicherweise gab es keine weiteren Löwen-Begegnungen.

Als Menschen sind wir Anpassungsexperten. Die Anpassung ist eines unserer wichtigsten Überlebens- und Verbreitungskonzepte. Schon Charles Darwin schrieb: „Nicht etwa die stärkste Art überlebt, sondern diejenige, die sich am besten an Veränderungen anpasst.“

Ein Blick, den keiner in unserer Gruppe je vergessen wird: Ein wilder Löwe beobachtet uns. Foto von Stephane Zemiro.

In einem meiner anderen Leben arbeite ich als Unternehmensberater. Ich muss mir schnell neues Fachwissen aneignen, wichtige Einflussfaktoren ermitteln und knackige Lösungen präsentieren. Das ist es, was ich an diesem Job mag. Ich lerne neue Dinge kennen und verstehe Bedeutung und Wichtigkeit dessen. Über Jahrzehnte hinweg hat sich eine wesentliche Haltung zu fast allem, was ich tue, herauskristallisiert. Sie lautet: Ich kriege das heraus. Dank dieser Haltung konnte ich sehr viele spannende Dinge in Reichweite bringen. Dank „Ich krieg’s raus“ habe ich gelernt, was es braucht, um Fotograf, Autor, Freitaucher, Redner, Eisschwimmer und Musiker zu werden. Demnächst auch Fallschirmspringer. ‚Ich krieg’s raus‘ lässt mir einen langen Hals wachsen, lange Arme und noch längere Beine. Damit komme ich überall hin. Und finde alles raus. Heute fühle ich mich gut vorbereitet auf alles, was das Leben mir auf den Tisch legt. Das können sie auch.

2. Denkitation

In unserem Nachtlager wird die Nachtwache eingeteilt. Meine ist von drei bis vier Uhr. „Haltet das Feuer am Laufen“, weist Bruce uns an, „und stellt Euch direkt ans Feuer, damit die Tiere Euch von weitem sehen können. Dann kommen sie nicht näher.“ Das wollte ich hören. „Na ja … die meisten jedenfalls“, ergänzt er. Das wollte ich nicht hören.

3 Uhr früh. Meine Nachtwache beginnt. Ich lege einen Holzscheit ins Feuer. Eine seltsame Stimmung breitet sich in mir aus: Ich genieße die Ruhe und die Melodie des knisternden Feuers. Ich lausche. Es rauscht in meinen Gehörgängen – als ob in meinen Ohren die Lautstärke auf Maximum gedreht ist.

Plötzlich ein grummelndes und rumpelndes Geräusch. Welches Tier ist das? Nach einer Schrecksekunde wird mir klar: Es ist mein Magen! Der ist schwer beschäftigt, Fertignudeln zu verdauen.

Das Nachtlager des zweiten Tages. Nach 22 Kilometern Marsch entspannen wir uns am Lagerfeuer.

Zwanzig Minuten später: Alles, was zu tun war, ist getan. Alles, was es zu denken gab, ist gedacht. Jetzt ist es still und ruhig im Busch. Dann auch in mir. Der Nullpunkt.

Ich bemerke etwas in meinem Kopf. Zu träge, um es Reflektion zu nennen, aber auch zu agil, um von Meditation sprechen zu können. Irgendetwas dazwischen. Nachdenklichkeit? Hmmmh, es passiert einfach. ‚Denkitation‘ trifft es ganz gut. Meine rechte Hand zieht das Notizbuch aus der Hosentasche. Ich zücke den Bleistift, er bewegt sich langsam übers Papier. Ich steuere nichts in eine bestimmte Richtung. Die Seiten füllen sich.

Wochen später blättere ich in meinem Südafrika-Notizbuch. Meine nächtlichen Zeilen vom Lagerfeuer tauchen auf. Was ich lese, ist, nun ja, bizarr. In dem großen Buchstaben-Geschwafel funkeln jedoch ein paar schöne Ideen. Es wird Monate dauern, bis ich sie zurechtgeschliffen habe. Schließlich bringe ich sie in einem Artikel unter. Dieser hätte nicht die besondere ‚Farbigkeit‘, wenn es nicht das Lagerfeuer und den Nullpunkt gegeben hätte.

Zusammenfassung

‚Ich kriege es heraus‘ und „Denkitation‘ – was halten Sie davon? Lassen Sie es mich wissen und schreiben Sie mir.

 

 

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